bamberger symphoniker

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Herbert Blomstedt
© Martin U.K. Lengemann

»Wie ein alter Meister mit Goldrahmen«

Nobel, charmant, uneitel, bescheiden. Im Zusammenleben von Menschen mögen solche Eigenschaften eine große Rolle spielen und geschätzt werden. Für Ausnahmeerscheinungen, als welche Dirigenten gelten oder sich selbst empfinden, sind sie eher untypisch, möglicherweise sogar hinderlich. Jedenfalls scheint die Ausübung des Dirigentenberufs mehr absolutistische Herrscher hervorgebracht zu haben als freundliche, zuvorkommende, rücksichtsvolle Partner von Orchestermusikern. Vielleicht wird der napoleonische Künstler sogar bis zu einem gewissen Grad gefordert; ein Kopf, der seinen unbedingten Kunstwillen durchsetzt und hochqualifizierte, individuelle Musiker zu einem gleichgestimmten Kollektiv zusammenzuschmieden vermag. Immer im Interesse der Musik, versteht sich.

Herbert Blomstedt
© Martin U.K. Lengemann

Aber wie auch immer die Vorstellung sein mag, die sich die Öffentlichkeit von Dirigenten macht, Herbert Blomstedt bildet darin eine Ausnahme, gerade weil er über jene Eigenschaften verfügt, die man so wenig auf den Nenner eines dirigentischen Herrschaftsanspruchs bringen kann. Was freilich nicht zu der Annahme verleiten sollte, dieser sympathische Künstler verfüge nicht über Durchsetzungskraft für seine klar gesteckten musikalischen Ziele. Wer einmal die Konzentration auf das Wesentliche der Musik, die Präzision in der Formulierung musikalischer Sachverhalte, wie sie aus der Partitur aufscheinen, die Hartnäckigkeit in der Durchsetzung einer ästhetischen Anschauung in Proben von Herbert Blomstedt erleben konnte, der wird wohl erstaunt gewesen sein, wie wenig es dazu despotischer Maßnahmen bedurfte. Im Grunde vertrat Herbert Blomstedt schon immer jenen Künstlertyp, dessen fachliche Kompetenz wie natürliche Autorität allen äußerlichen Nachdruck überflüssig macht. So hat er sich in den mehr als sechzig Jahren seiner Karriere den uneingeschränkten Respekt der musikalischen Welt erworben.

Auch die Bamberger Symphoniker konnten sich seit den frühen achtziger Jahren schon der Dienste des hoch angesehenen schwedischen Orchestererziehers mit amerikanischem Geburtsort und künstlerischer Ausbildung in Uppsala, New York, Darmstadt und Basel versichern. Dabei würde es vermutlich nicht wenige Mitglieder aus den Reihen des heutigen Orchesters überraschen zu erfahren, dass Blomstedt, ausgestattet offenbar mit einem phänomenalen Gedächtnis, die Frühphase des Orchesters vor mehr als fünfundsechzig Jahren miterlebt hat, die ihm bis heute present geblieben ist. Sogar eine gewisse Kontinuität der Klangkultur meint Blomstedt in all den Jahren bis heute festgestellt zu haben: »Ich hörte das Orchester mit Joseph Keilberth im Alter von zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahren noch als Student in Stockholm. Das Konzert vergesse ich nie, denn die Musiker haben phantastisch gespielt. Natürlich verfügte ich damals noch nicht über den Referenzrahmen wie heute. Aber ich war vollkommen hingerissen von dem Orchester und KeilberthsArt, die große C-Dur-Symphonie von Schubert, die »Meistersinger«-Ouvertüre und als Zugabe »Till Eulenspiegel« von Richard Strauss zu dirigieren. Das war alles so virtuos, so sprühend, so schön im Orchesterklang, so geschmeidig. Und ich muss sagen, diesen Klang und dieses Niveau besitzt das Orchester immer noch, mit neuen hervorragenden Musikern.«

Aus dem Mund eines Künstlers seines Alters und seiner Erfahrung wirkt gerade die unprätentiöse Art, mit der Blomstedt aktuell die Bamberger Symphoniker charakterisiert, wie ein doppeltes Lob: »Es gibt viele junge Musiker im Orchester, die hervorragend sind und die älteren sehr gut ergänzen. Alle Musiker, die ich kenne, sind nett. In Bamberg ist man überhaupt sehr locker und trotzdem enorm konzentriert. Es liegt auch an der Stadt, die so klein ist, so übersichtlich. Man braucht nicht so viele Ellenbogen wie in einer Großstadt. Das ist auch entscheidend für den Charakter des Orchesters.« Das Lob und die Wertschätzung aber beruht lange schon auf Gegenseitigkeit. Herbert Blomstedt hat das Orchester bis Ende 2016 in 172 Konzerten in Deutschland und auf 24 Auslandskonzerten in acht Ländern – von
Europa bis Asien – dirigiert. 2006 hat man ihn, erst als dritten Dirigenten überhaupt, zum Ehrendirigenten des Orchesters ernannt. Und zu seinem neunzigsten Geburtstag im Juli 2017 dieses Jahres macht ihm nun das Orchester ein Geschenk, das ihn emotional wohl am meisten bewegen wird: die Dom-Konzerte mit Bruckners fünfter Symphonie in Bamberg, Würzburg, Passau und erstmals in der Stiftsbasilika St. Florian, wo Anton Bruckner unter der Orgel seine letzte Ruhestätte gefunden hat.

Mit neunzig Jahren steht Herbert Blomstedt nach wie vor voller Elan und künstlerischem Tatendrang am Pult der Bamberger Symphoniker, wobei das Verb »stehen« buchstäblich zu nehmen ist, vor allem musikalisch korrekt wirkt und vielleicht auch das Geheimnis seiner enormen geistigen wie körperlichen Präsenz birgt. Nicht ohne verschmitzten Hintersinn bekennt er selbst: »Ich dirigiere nie im Sitzen. Das klingt nicht gut.« Aufrecht vor dem Orchester stehend, im Konzert ohnehin, aber auch in sämtlichen Proben, so kennt man ihn in Bamberg, wo er nunmehr in einer erstaunlichen Phalanx alter Meister, die alle noch mit weit über achtzig Jahren das Orchester dirigierten – Kurt Sanderling, Sir Neville Marriner, Georges Prêtre, Leon Fleisher, Eugen Jochum und Günter Wand –, der älteste wurde. Auch damit ist ihm der Goldrahmen sicher.

Wolfgang Sandner