Zum Programm der Bamberger Symphoniker: Dvořák – Tschaikowsky – Martinů
„Das Orchester kommt durchaus auf seine Kosten“
Der Dirigent Jakub Hrůša im Gespräch über das Programm vom 9. Februar 2025
Von Antonín Dvořák weiß man, dass er ein ausgesprochen bescheidener, zurückhaltender Mann war. Wie passt es da, dass er ein „Heldenlied“ schreibt? Wenn man dann noch liest, dass er für dieses Werk auch den Titel „Leben eines Helden“ im Sinn hatte, fühlt man sich fast an den über die Maßen selbstbewussten Richard Strauss und sein zeitgleich entstandenes „Heldenleben“ erinnert.
Jakub Hrůša: Danke für diese logische Frage, die sich geradezu aufdrängt! Der Titel wurde Antonín Dvořák in der Tat von einem seiner Schüler, dem recht „strausshaft“ denkenden Vítězslav Novák, eingegeben. Dvořák selbst hinterließ Zeugnisse darüber, wie er den Inhalt dieser Programmmusik verstand: Er verglich seinen „bohatýr“ (Held in der Tradition der slawischen Sprachen) mit einem griechischen Rhapsoden. Er betrachtete ihn als einen geistigen Helden, als Künstler. Es geht also definitiv nicht um einen kämpferischen Helden im körperlichen Sinne, sondern um einen Kämpfer für künstlerische Ideale. Dvořák sprach selbst von Kraft, Energie und Entschlossenheit. So habe auch ich das Werk immer wahrgenommen – als Denkmal für alle, die geistig kämpfen und für geistige Werte einstehen.
Dvořáks frühere Tondichtungen hatten ein fest umrissenes Programm, sie basieren auf Gedichten. Das fehlt hier. Was also hat ihn motiviert oder inspiriert?
JH: Wer weiß. Ich bin mir selbst nicht sicher. Nicht nur, dass das „Offenlegen des Inneren“ für Dvořák tatsächlich untypisch ist, sondern auch, dass sich diese seine letzte symphonische Dichtung stilistisch erheblich von den früheren (Der Wassermann, Die Mittagshexe, Das goldene Spinnrad, Die Waldtaube) unterscheidet. Sie erinnert vielmehr an Dvořáks früheren Stil, hat eine deutlich stärkere Anknüpfung an die deutsche Tradition, etwa an Liszt, und sie ist weitaus weniger national orientiert. Vielleicht wurde der Komponist am Ende seines Lebens (das allerdings früher endete, als irgendjemand gedacht hätte) von einem gewissen nostalgischen Sentiment ergriffen und kehrte – auch stilistisch – zu Werken und Tendenzen zurück, die er vor seiner ausgeprägt tschechischen bzw. slawischen Periode schuf. Vielleicht war das eine Intention: Er wollte sich wieder universelleren, zeitloseren Themen widmen, Stoffen von weltweiter Bedeutung.
Das Werk wird vergleichsweise selten aufgeführt. Gibt es einen Grund dafür?
JH: Ich persönlich denke, dass dieses Werk nicht die Höhe der Inspiration einiger seiner früheren Meisterwerke erreicht – neben den bereits erwähnten Dichtungen zweifellos der Symphonie „Aus der neuen Welt“ oder des Cellokonzerts –, aber es ist die „Aussage“ eines Genies am Ende seines Lebens. Da ist es meiner Meinung nach schon absurd, dass dieses Werk eigentlich überhaupt nicht gespielt wird. Mit den Bamberger Symphonikern beschäftigen wir uns mit verschiedenen Werken, die dieses Motiv des „geistigen Helden“ aufgreifen, und so war es für mich als Tschechen fast unumgänglich, dieses späte Werk Dvořáks mit meinem Orchester vorzustellen.
Kommen wir zum D-Dur-Violinkonzert von Pjotr Tschaikowsky: Es ist eines der technisch anspruchsvollsten seiner Art für den Solisten. Dabei hatte der Komponist für die Geige noch kaum etwas komponiert bis dahin. Überfordert er seinen Solisten?
JH: Aber überhaupt nicht! Es hängt natürlich von den Qualitäten des Solisten ab. Doch Tschaikowskys Konzert gehört heute einfach zur absoluten Spitze der Klassik, und jeder talentierte Virtuose beschäftigt sich damit. Diese Sorge fällt weg.
Die beiden Ecksätze sind extrem virtuos und wirkungsvoll geraten, der knappe Mittelsatz dagegen umso poetischer, ja melancholischer. Wo ist Tschaikowsky mehr bei sich?
JH: Da bringen Sie mich ein wenig in Verlegenheit. Ich denke, doch überall – sonst hätte er nicht geschrieben, was er geschrieben hat. Sie haben allerdings recht, dass eine gewisse Melancholie für Tschaikowsky typisch ist. Oder, besser gesagt, in ihrem Ausdruck war er anderen überlegen. Ich glaube, dass gerade aus der Sicht der Bedachtheit auf jedes musikalische Detail der zweite Satz äußerst kostbar ist. Die Ecksätze sind „gesprächiger“, wie man in unserer Branche sagt.
Virtuose Violinkonzerte der Romantik glänzen in der Regel mit einem Aufsehen erregenden Solopart, aber oft hat das Orchester kaum etwas Gewichtiges beizutragen. Wie ist das hier? Langweilen sich Dirigent und Orchestermusiker über die immerhin 40 Minuten Spielzeit?
JH: Da fragen Sie den Falschen, denn: Ich habe nie verstehen können, was Langeweile ist! Für mich ist Langeweile ein Mangel an der eigenen Fähigkeit, Herz, Verstand und Sinne ausreichend offen zu halten… Aber natürlich weiß ich, wie Sie es meinen. Und die Antwort lautet: Nein. Routine droht nur durch ein übermäßige Häufigkeit an Aufführungen, wenn diese gedankenlos erfolgen. Meine Erfahrung ist jedoch, dass selbst in einem solchen Repertoire durch Inspiration alle positiv „durchgerüttelt“ werden und aus einem oft gespielten Stück neue Schätze herausgeholt werden können. Außerdem schreibt Tschaikowsky wirklich nicht im „Um-pa-pa“-Stil, und das Orchester kommt durchaus auf seine Kosten.
Anders als Dvořák und Tschaikowsky müssen wir den dritten Komponisten dieses Abends erst einmal vorstellen: Wer war Bohuslav Martinů?
JH: Der beste tschechische Symphoniker nach Dvořák. Und einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Ein Mann von reiner musikalischer Noblesse, äußerst vielseitig, tätig in allen denkbaren Gattungen, außergewöhnlich begabt, enorm fleißig (die Zahl seiner Werke ist enorm), ein Mann mit starken poetischen und politischen Prinzipien. Für mich eine Quelle des Positiven und unerschöpflicher Inspiration.
Zudem war er stilistisch sehr flexibel. Er konnte Neoklassizismus und Folklorismus hat in Paris unter dem Einfluss von Dadaismus und Surrealismus zugespitzt bis experimentell komponiert, und in den USA lieferte er dann das, was den dortigen Hörern wie auch Musikern lag. So begann er erst in dieser neuen Heimat, Symphonien zu schreiben, von 1942 bis 1956 jährlich eine.
JH: Ich habe sogar bereits die völlig gegenteilige Haltung gehört: dass alles, was Martinů geschaffen hat, ungefähr gleich klinge. Ist eine solche Bemerkung jedoch nicht absurd, wenn wir sie etwa über Mozart oder Haydn hören würden? Martinů emigrierte und reiste viel. Ja, zu Beginn seiner Laufbahn übernahm er fremde Einflüsse (vor allem die französischen) sehr bereitwillig. Doch ab seiner reifen Periode ist seine Musik bereits sehr persönlich und sofort identifizierbar. Ich denke, Sie hören einen Takt der von ihm komponierten Musik und wissen, dass es von ihm ist.
Dennoch haben die USA Spuren hinterlassen in seinen Symphonien, ich denke da an das stellenweise stark Motorische, Rhythmus-betonte.
JH: Ja, es stimmt, dass nach den französischen Einflüssen zur Zeit seiner Emigration in die USA während des Zweiten Weltkriegs auch eine Spur amerikanischer Prägung zu erkennen war. Vergessen Sie jedoch nicht, dass er eine Symphonie nach der anderen schrieb für die bedeutendsten amerikanischen Orchester (Boston, Cleveland) und deren Dirigenten (Koussevitzky, Munch usw.). Er hatte sicherlich deren Klang im Sinn, als er seine Ideen konzipierte. Und ein gewisser Motorismus gehört eben zu Amerika. Für Martinů mag eine Kombination aus rhythmischer Substanz und der ständigen Verschiebung metrischer Akzente, also Synkopen typisch sein. In dieser Hinsicht ist seine Musik ebenso fließend und fantasievoll wie rhythmisch.
Klingt die Musik nach dem Jahr 1946? Konnte nur in den USA eine solche Musik entstehen in dieser Zeit?
JH: Ich weiß nicht, ob NUR in Amerika, aber ja – den Einfluss Amerikas hört man. Martinů ist jedoch zweifellos ein europäischer Komponist, und ich würde sogar sagen: ein eindeutig westeuropäischer.
[Die Fragen stellte der Musikjournalist Stefan Schickhaus]