bamberger symphoniker

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Jakub Hrůša
© Andreas Herzau

Chefdirigent Jakub Hrůša im Interview mit Wolfgang Sandner

 

Herr Hrůša, Sie sind nun schon einige Zeit in Bamberg. Wie geht es Ihnen?

Mir geht es sehr gut. Im ersten Jahr war ich zwar voll im Amt, aber noch nicht so präsent, wie es ideal gewesen wäre. Das wird sich erst von der nächsten Saison an durch die zunehmende Anzahl an Terminen mit dem Orchester ändern.

War das so geplant?

Im ersten Jahr gab es wegen der vielen anderweitigen Termine, die ich schon vor längerer Zeit angenommen hatte, keine andere Möglichkeit. Erst in der kommenden Saison warden wir so viel Zeit miteinander verbringen, wie wir es uns wünschen. Aber wir hatten schon einige wunderbare gemeinsame Projekte, etwa das Eröffnungskonzert und die Konzerte mit Mozart, Rachmaninow und Brahms sowie mit Ives, Wagner, Martinů und Cage. Wir haben auch viel zeitgenössische Musik gespielt: Escaich, Hosokawa, Chin. Ich denke, das Orchester und ich kommen uns näher, und immer wenn ich hier bin, habe ich ein sehr gutes Gefühl.

Stellen Sie auch schon eine Entwicklung in Bezug auf den künstlerischen Standort des Orchesters fest?

Ich zögere mit dem Urteil. Um ehrlich zu sein, ist es noch zu früh. Außerdem kann man das  nicht so leicht einschätzen, wenn man selbst Teil des Prozesses ist. Aber ich habe ganz allgemein das Gefühl, dass wir uns schön entwickeln. Im Augenblick beschäftigen wir uns sehr intensiv mit Fragen der Sitzordnung, also mit akustischen Fragen. Sitzordnung klingt zunächst einmal sehr technisch, aber das hängt sehr eng mit dem Musizieren und dem Klang zusammen. Die Musiker sollen das Gefühl haben, dass wir für alle Instrumentalgruppen die richtige Position gefunden haben. Darüber hinaus habe ich die Leistungsfähigkeit des Orchesters für ältere Musik, etwa bei Jan Václav Vořišek, erkannt. Ja, ich denke, wir arbeiten gut zusammen, die Proben sind sehr intensiv, wir verlieren keine Zeit und keine Energie. Alles ist dabei ganz entspannt und guter Stimmung.

Sie haben die vierte Symphonie von Brahms gespielt. Es war der Beginn eines ehrgeizigen Projekts, bei dem Sie Brahms und Dvořák verbinden. Können Sie das Projekt etwas näher erklären?

Es mag als etwas Selbstverständliches erscheinen, wenn ich zunächst bekenne, dass ich die  Musik beider Komponisten aufrichtig liebe. Was ich bei beiden und vor allem bei Brahms so schön finde, ist die ausgesprochen harmonische Verbindung zwischen Herz und Hirn. Das ist etwas, was ich mein Leben lang als wichtig erachtet habe, diese Ausgewogenheit zwischen intellektueller und emotionaler Welt. Das ist eigentlich schon eine Charakterisierung der Persönlichkeit von Brahms. Wir kennen alle die enge Beziehung zwischen Brahms und Dvořák und wie viel Dvořák als Komponist Brahms verdankt. Wir wissen auch, wie sehr Brahms Dvořák wegen seiner frischen Erfindungsgabe und seiner Kreativität bewundert hat. Nahezu unbewusst habe ich schon lange diese beiden Komponisten zusammen in meinen Programmen berücksichtigt, etwa die »Haydn-Variationen« von Brahms mit den »Symphonischen Variationen« von Dvořák zusammen gespielt, oder eine Symphonie von Brahms mit einem Instrumentalkonzert von Dvořák. Und eigentlich muss ich mich wegen Dvořák nicht weiter auslassen. Diese Musik ist für mich sozusagen Muttermilch. Ich dachte, die Verbindung der Bamberger Symphoniker mit mir – ein deutsches Orchester, sicherlich mit einer slawischen Vergangenheit, aber immerhin ein deutsches Orchester, das im deutschen Repertoire zuhause ist, und ein tschechischer Dirigent –, das könnte etwas Folgerichtiges sein, um Dvořák und Brahms zu präsentieren, aber eben nicht, indem wir einen selbstständigen Brahms-Zyklus und anschließend einen Dvořák-Zyklus offerieren, sondern Musik von beiden jedes Mal auf einer gemeinsamen CD. Das werden die vier Symphonien von Brahms zusammen mit den vier letzten Symphonien von Dvořák sein. Einige davon stehen sogar in derselben Tonart: Dvořáks Neunte und Brahms Vierte, zufälligerweise beides ihre letzten Symphonien, in e-Moll, Dvořáks Sechste und Brahms’ Zweite in D-Dur. So werden sie auch auf CD kombiniert. Und dann gibt es auch noch die Tonartenverwandtschaft zwischen der Dritten von Brahms in F-Dur und der d-Moll-Symphonie von Dvořák. Nur das letzte Paar funktioniert in diesem Sinn nicht. Aber das stört wohl kaum.

Brahms und Dvořák waren, wie Sie sagten, befreundet und schätzten sich sehr. Aber sie unterscheiden sich stilistisch. Was Sie über Brahms sagten, diese Kombination von Intellekt und Gefühl, lässt sich nicht ohne Weiteres auf Dvořák übertragen.

Ja, aber man kann diese intellektuelle Seite von Dvořák durchaus mehr betonen, als es für gewöhnlich der Fall ist. Dennoch haben Sie mit dem Unterschied Recht, was allerdings auch stimulierend sein kann und vielleicht Ohren öffnen wird.

Brahms ist sehr viel polyphoner ausgerichtet als Dvořák. Sein Stil ist rückwärtsgewandter als der von Dvořák. Oder hat Dvořák auf andere Dinge zurückgeblickt?

Man muss sagen, dass Dvořák auch in die Vergangenheit geblickt hat. In den Symphonien zeigt sich das vielleicht nicht so. Aber wenn Sie seine Chorwerke nehmen, dann wird deutlich, dass er auf Händel fußt wie Brahms auf Bach. Die Beziehung Bach-Händel ist durchaus vergleichbar mit der zwischen Brahms und Dvořák. Der eine ist ein wenig mehr intuitive und weniger selbstkritisch, dafür manchmal humaner mit allem Pro und Contra. Der andere wiederum ist strenger und mehr darauf aus, wie sich alles perfekt zusammenfügt. Würde man die Symphonien von Brahms mit den Tondichtungen von Dvořák zusammenfügen, wären die Unterschiede spürbarer. Im Übrigen kenne ich kein Projekt wie dieses, bei dem zwei Komponisten mit gleicher Sorgfalt behandelt werden und nicht einer herausgehoben und der andere als Lückenfüller auf der CD erscheint.

Würden Sie sagen, dass Brahms ein typisch deutscher und Dvořák ein typisch tschechischer Komponist ist? Und dass man das besonders gut durch die Kombination auf einer CD hört?

Die Antwort lautet natürlich: ja! Die deutschen und die tschechischen Merkmale sind eindeutig. Aber beide schreiben mit dem Vorsatz, ihre Musik international verständlich zu machen. Sieht man einmal von Dvořáks Scherzi ab, die einen eher nationalen Ton anschlagen, hat man bei seinen Symphonien nicht das Gefühl, er wolle vorsätzlich etwas spezifisch Böhmisches erschaffen. Aber er konnte sich ja nicht aus seiner Haut schälen. Ich glaube, dass Dvořák für sein authentisches Tschechentum bisweilen mit dem Fehlen  präziserer Struktur bezahlt hat. Und Brahms hat sich um den Preis eines gewissen Mangels an Spontaneität darum bemüht, ein durch und durch rationale Komponist zu sein, was etwa Tschaikowsky an ihm bemängelte.

Nicht nur Tschaikowsky, auch Hugo Wolf und die neudeutsche Schule.

Das könnte ein weiteres Traumprojekt sein. Man stele sich vor, diese drei Komponisten gemeinsam auf CD. Dann würde man erst erkennen, wie »deutsch« Dvořák ist im Vergleich zu Tschaikowsky, wie sehr er seinen Werken grundsäztliche motivische Arbeit und, generell genommen, »vertikale« Struktur gegeben und wie viel er von Brahms oder Beethoven gelernt hat. Obwohl Tschaikowsky durchaus Einflüsse westlicher Traditionen erkennen lässt, gründet seine Musik doch sehr viel mehr auf Harmonie und Melodie, während Form, Polyphonie und Struktur für Brahms, je älter er wurde, sehr wichtig gewesen sind. Seine Vierte ist das Produkt strukturellen Denkens.

Vor allem im letzten Satz.

Auch im ersten Satz. Der erste Satz ist eine einzige Abhandlung über eine absteigende Terz. Das ist das Grundprinzip, mit der Umkehrung in eine aufsteigende Sexte. Dann spielt er mit Rhythmen, mit multi-rhythmischen Sektionen. Das ist eigentlich ein modernes Denken und führt direct ins 20. Jahrhundert.

Das war der Grund, warum Arnold Schönberg von Brahms dem Fortschrittlichen sprach und dieses Prinzip der »entwickelnden Variation« so herausgestellt hat. Ich möchte aber noch einmal auf diese tschechisch-deutsche Konstellation zurückkommen. Was würden Sie zu Mahler sagen, war er ein deutscher oder ein tschechischer Komponist?

Sicher nicht deutsch. Mahler ist kein deutscher Komponist. In gewisser Weise ist er wirklich ein österreichischer Komponist. Aber wenn wir wirklich seinem Genie Gerechtigkeit widerfahren lassen wollen, müssen wir wenigstens drei Komponenten heranziehen, die gleich wichtig für ihn sind: österreichisch, böhmisch und jüdisch. Warum sage ich, dass er kein deutscher Komponist gewesen ist? Vielleicht denke ich zu sehr in schwarz-weißen Kategorien, aber der Unterschied zwischen Mahler und Richard Strauss entspricht etwa dem zwischen Schubert und Schumann. Wenn wir an deutschsprachige Kultur denken, dann war Mahler sicherlich darin zuhause. Im Schmelztiegel seiner Künstlerpersönlichkeit aber vereinten sich eine böhmische Art von slawischem Instinkt, im Hintergrund jüdische Mentalität, angereichert in späteren Jahren mit gewissen christlichen Motiven, und die deutsche Sprache. Und alles war gleich wichtig. Aber es hängt von den involvierten Persönlichkeiten ab, wie seine Musik klingt und ob ein Aspekt seiner dreifaltigen Identität hervorgehoben wird: Wer dirigiert, wer spielt, welches Orchester ist beteiligt. Idealerweise müsste man natürlich sagen, alles in Balance. Kürzlich habe ich Mahlers Erste in Tokio dirigiert. Und ich muss freimütig zugeben, das Tokyo Metropolitan Orchestra spielte vorzüglich. Es gab aber einen Moment im dritten Satz mit den Trompeten des Trauerzugs, an dem ich einfach nicht klar machen konnte, wie das zu klingen hat. Sie spielten es zu schön, zu professionell. Zugleich sollte es aber auch nicht echt vulgär klingen. Für diese Ironie, das Metaphorische müssen die Spieler einen Weg finden, um klar zu machen, dass es sich um einen Trauerzug auf dem Lande handelt. In einer bestimmten Weise schön und auf keinen Fall herablassend. Das ist eine ganz feine kulturelle Trennlinie, und ich glaube, dass Mahler mehr als jeder andere Komponist auf dieser Linie wandelt. Es gehört so viel Kraft dazu und auch Empathie, dafür die richtige Balance zu finden. Ich denke, diese Region Mitteleuropas, zu der ich mit gewissem Recht Österreich, Böhmen, Mähren und vielleicht einige Teile Ungarns und Süddeutschlands zähle, ist absolut einmalig. Und Mahler ist ein Repräsentant dieser letzten Spur der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das kulturelle Herz Europas. Vor einiger Zeit war ich mit der Philharmonie Bohuslav Martinů in der kleinen Stadt Zlín in Ostmähren, sehr nahe an Brno und Bratislava. Wir spielten Mahlers Dritte. Und an vielen Stellen gibt es diese verschmitzt vulgären Anklänge. Eigentlich bedarf es dazu nur einiger Blechbläser, die jede Woche in der örtlichen Blaskapelle zum Begräbnis spielen, was diese Musiker tatsächlich tun. Es liegt ihnen im Blut, solche Themen zu spielen. Und sie wissen, was sie nächste Woche beim realen Begräbnis spielen werden. Das ist in Tokio nicht leicht zu vermitteln.

Kann ich noch einmal auf die Zukunft zu sprechen kommen? Über Brahms und Dvořák haben wir gesprochen. Was gibt es noch für Pläne?

Es wird ein paar interessante tschechische Werke geben. Mein sehnlichster Wunsch für die nächsten Spielzeiten war das Œuvre von Josef Suk. Mit Suk werden wir die neue Spielzeit eröffnen. Er ist, wenn man so will, ein tschechischer Mahler. Und Mahler hat Suk sehr bewundert. So war er etwa an Suks Symphonischer Dichtung »Ein Sommermärchen« sehr interessiert gewesen und hat das Werk, das er von Suk geschickt bekam, studiert, um es in Wien aufzuführen. Mahler starb, bevor er sein Vorhaben verwirklichen konnte. Suk ist also ein Komponist, auf den wir aufmerksam machen wollen, zudem noch auf Bohuslav Martinů. Diese beiden sind die wichtigsten tschechischen Komponisten neben Smetana, Dvořák und Janáček und liegen mir sehr am Herzen. Und Schritt für Schritt nähern wir uns auch wieder Mahler. Nach den wunderbaren Erfahrungen mit der Ersten in Bamberg kann ich einfach nicht widerstehen. Mahler muss sein!