Eine Stadt und ihr Orchester
Wer schon einmal bei einem Konzert der Bamberger Symphoniker war, kennt das: Etwa eine Stunde vor Konzertbeginn sieht man Damen und Herren mit Instrumentenkoffern auf dem Rücken die Regnitz entlangradeln, und während der Fahrräder vor der Konzerthalle mehr werden, folgen die ersten Konzertbesucher auf gleichem Wege. Man schlendert vorbei am alten Brückenrathaus, am Flussufer gegenüber von »Klein Venedig« und über die schmale Brücke hinüber zum Konzertsaal. In aller Ruhe gönnt man sich hier noch ein Gläschen und nimmt dann Platz, um sich ganz der Musik zu widmen.
Über die Jahrhunderte gewachsen ist die innere Ruhe und Gelassenheit der mittelalterlichen Weltkulturerbestadt Bamberg, deren Ursprünge ins 10. Jahrhundert zurückreichen. Demgegenüber kaum im Jugendalter angekommen sind die 1946 gegründeten Bamberger Symphoniker, ein äußerst betriebsames Weltklasse-Orchester, das mit mehreren Dutzend Konzerten pro Spielzeit Bambergs Kulturleben musikalisch bereichert und überdies den Namen Bambergs auf zahlreichen Tourneen in die weite Welt hinausträgt. Letzteres würde man auf den ersten Blick kaum glauben, wenn man die Musiker in aller Seelenruhe durch die beschaulichen Straßen unserer mittelalterlichen Stadt radeln sieht, während man selbst auf dem Weg ins Konzert ist, oft zu Fuß oder ebenfalls auf dem Fahrrad; denn die Wege in Bamberg sind bekanntlich kurz.
Und nach dem Konzert? Langanhaltender Applaus und niemand, der beim Verklingen des letzten Akkords hektisch aufspringt, um der Erste im Parkhaus zu sein oder noch den letzten Zug zu erwischen. Man macht sich entspannt auf den Rückweg, lässt dabei Schumann, Beethoven, Mahler oder ein Stück Neuer Musik noch einmal Revue passieren und den Abend vielleicht bei einem »Rauchbier« oder einen Frankenwein in einer der vielen gemütlichen Gaststätten Bambergs ausklingen.
Bamberg, das ist dieses Juwel einer Stadt, auf die wir uns nach einer langen Tournee immer wieder aufs Neue freuen: Bamberg, die Welterbestadt der UNESCO im Herzen Europas, mit ihrer überwältigenden Architektur, einer Historie von tausend Jahren, dem Dom und dem Bamberger Reiter, den Sieben Hügeln und dem Heiligen Kaiserpaar. Diese kleinste unter den großen Musikmetropolen ist ein wahres Kleinod, das unseren Alltag ebenso prägt, wie es zu Alltagsfluchten einlädt, von denen niemand unverändert wiederkehrt.
Bayerns bester Konzertsaal
Als er dieses Konzert erlebt, weiß er noch nicht, dass aus seinem Höreindruck eine bleibende Erinnerung werden wird. Mit einem Nachleben… Wir befinden uns in den 1960ern. Yasuhisa Toyota ist keine 18 Jahre alt, als er unser Orchester in Japan hört. Wo genau das war, welches Programm und unter wessen Leitung wir spielten, lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Irgendetwas aber muss den aufmerksamen Hörer von damals fasziniert haben. Sonst hätte er nicht, Jahrzehnte später, seine Einwilligung gegeben, den Joseph-Keilberth-Saal einer akustischen Rundum-Erneuerung zu unterziehen.
Es gehört nämlich nicht zu Yasuhisa Toyotas Agenda, den Sound von Konzertsälen im Nachhinein zu verbessern. Der japanische Starakustiker ist weltweit gefragt, wenn es gilt, ein Orchester mit einem Raum zu umgeben, in dem Musiker und Publikum gleichsam unmittelbar am musikalischen Geschehen teilhaben können. Er zeichnete verantwortlich für die Akustik der Suntory Hall in Tokio sowie der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, um nur zwei der prominentesten Beispiele zu erwähnen, und wird diese auch bei den bald eröffneten Philharmonien in Paris und Hamburg mitgestalten.
Die Konzerthalle Bamberg ist eine der ganz wenigen Ausnahmen, bei denen Yasuhisa Toyota im Laufe seiner Karriere erst nachträglich tätig geworden ist, und er selbst führte dies in einem Interview aus dem Jahr 2008 darauf zurück, dass er von dem Konzert unseres Orchesters in Japan damals »sehr beeindruckt« gewesen sei. Eine Erinnerung mit einem Nachleben – das uns alle bereichert!
Anfang des neuen Jahrtausends war der im Jahr 1993 eröffnete Joseph-Keilberth-Saal zum Problem für die Bamberger Symphoniker geworden. Zwar war der Fortschritt kaum zu ermessen, den es bedeutete, aus den weiten Hallen des Dominikanerbaus in eine moderne »Schuhschachtel« zu ziehen – so auch in Fachkreisen der keineswegs abschätzige Name für Konzertsäle im länglichen Quaderformat.
Auch thront über dem Podium nun die »Königin der Instrumente«, in Gestalt einer Orgel aus dem Hause Georg Jann (seit 1995 Thomas Jann Orgelbau GmbH) von 1992/93, die am 9. Oktober 1993 eingeweiht wurde. Die Jann-Orgel machte es möglich, jegliche für einen Konzertsaal geeignete Literatur für Orgel solo vom Barock bis zur Gegenwart nun optimal darzustellen.
Darüber hinaus ist die Jann-Orgel wie geschaffen für die Mitwirkung bei den großen spätromantischen Orchesterwerken und Oratorien, in denen sie trotz ihrer Integration in den Orchesterklang oft einen wesentlichen solistischen Anteil hat. Sie besitzt eine eindrucksvolle Palette romantischer Farben und verfügt über eine gewaltige dynamische Bandbreite – von verhauchenden Registern bis hin zur Urgewalt des Tutti, das es auch mit einem groß besetzten Symphonieorchester aufnehmen kann.
Doch der Joseph-Keilberth-Saal hatte im Lauf der ersten Jahre einige Schwächen erkennen lassen, die das Klangbild unseres Orchesters gefährdeten. Da nämlich dieser Raum nicht allein für symphonische Orchesterkonzerte geschaffen worden war, hatten dessen akustische Rahmenbedingungen bei der Planung nicht die allererste Priorität. Und überdies war die Computertechnologie damals noch nicht ausgereift genug, um die Akustik von vornherein bis ins Detail zu planen. Resultat: Die Musiker hörten einander alles andere als optimal, wenn sie miteinander musizierten, die Akustik wirkte allzu kühl und direkt, außerdem blechlastig.
Yasuhisa Toyota verordnete daraufhin Podeste aus leichtem und fein vibrierendem gelben Zedernholz, er erbat Löcher in den Rückwänden des Podiums, die bei Bedarf mit Dämmstoffen geschlossen werden können, sowie Verbesserungen an der Decke des Saals. Der Lack musste ab, und das ganz buchstäblich. Vom Bühnenboden wurde der Holzlack entfernt, da er den Schall schluckte. Nachdem unter diesem Boden dann noch die Hälfte der Metallverstrebungen entfernt worden war, konnte man plötzlich insbesondere die tiefen Frequenzen des Orchesters sehr viel besser hören, wahrnehmen und spüren.
Man fühlt sich jetzt bestens aufgehoben in dieser Atmosphäre. Das gilt für Musiker und Publikum gleichermaßen. Erstere hören sich nun untereinander sehr viel besser als zuvor und weben jetzt gleichsam miteinander aus dem Inneren des Orchesterklangs. Auch sehen sie einander besser, da sie sehr viel näher zusammen- und aufeinander bezogen sitzen als in der vorangegangenen Anordnung. Genau dies wiederum macht das Orchester zu einer Ohren- und auch Augenweide für die Zuhörer. Der kompakteren Sitzordnung auf der neuen Bühne entspricht ein sehr viel ausgewogenerer Klang, der von innen her zugleich differenzierter, runder und aus größerer Tiefe her tönt, als dies vorher der Fall war.
Zusammen mit dem neu erbauten Foyer des renommierten Hamburger Designers Peter Schmidt, dem langjährigen Partner des Orchesters, ist seither ein wahrhaft einladendes Ensemble entstanden, in dem der Klangkörper der Bamberger Symphoniker nun den Ton angibt, der ihm wirklich entspricht.